Ein Fazit

Tag 14 - Gefühlsachterbahn in Hiroshima

Es ist der fünfte Oktober. Ich wache auf, ausgeschlafen, strecke mich, recke mich, stöhne genüsslich - nein, heute geht es nicht auf das Fahrrad. Nein, heute keine grellbunten Klamotten, keine schweißgetränkten Handschuhe, kein Helm. Heute lasse ich die Arbeitskleidung des Speedmaschinisten wo sie ist - zum Trocknen aufgehangen im Flur meines recht geräumigen Hotelzimmers.

Und da kapiere ich es: Die Tour ist vorbei!

Ich stehe auf, es ist neun Uhr - ein grobes Vergehen, würde ich heute eine Etappe vor mir haben. Neun Uhr, da sollte ein Radtourenfahrer mindestens schon 25 Kimlometer auf dem Tacho haben. Ich aber, ich habe fertig. Für meine Waden gibt es in Japan nichts mehr zu holen.

Beim Frühstück sitze ich, genieße "western style" Kaffee und Mini-Croissants und die für japanische Verhältnisse geradezu luxuriöse Auswahl an zwei Sorten abgepackter Konfitüre. Ja, heute ist mein Tag in Hiroshima. Ich will mir die Stadt ansehen, etwas meinen Urlaub genießen. Tja, und da ja noch immer der Super-Taifun im Anflug ist, muss ich Vorkehrungen für meine Abreise treffen - eine vorzeitige Abreise.

Wie schade, denke ich - eigentlich geht mein Flug erst am 10.10., also in fünf Tagen. Eine Ganze Woche Zeit noch! Was könnte ich in fünf Tagen schaffen - drei, wenn nicht vier Etappen! Das wären noch einmal mindestens 400 Kilometer. Aber, und da meldet sich zunächst das rechte Knie, dann das linke, dann die Waden, gefolgt von den Oberschenkeln und auch ein wenig mein Rücken: Beschwerdeführer Kopf redet mir diese Idee ganz schnell aus. Radfahren in Japan? Du hattest genug!

Ich schlage mein Tagebuch auf, hole mir noch eine Schüssel frischer Orangenfilets und rechne, resümmiere: Ich bin insgesamt 8 Etappen mit 1.299,92 Kilometern gefahren. Nicht schlecht, Herr Specht - der erste Teil mit 3 Etappen 510 km, der zweite Teil mit ebenfalls 3 Etappen 455 km und zum Schluss noch einmal 2 Etappen mit 305 km.

Das sind genausoviele Kilometer wie bei meiner Kanada-Tour vor zwei Monaten. Nur in 2 Etappen weniger. Und die Höhenmeter, die will ich mal gar nicht ausrechnen.

Ich stelle mir Deutschland vor. Und lege in Gedanken die Strecke auf mein Heimatland. Wäre ich in Hamburg gestartet, ich hätte ganz Deutschland durchquert, hätte einen Schlenker in die österreichischen Alpen gemacht und wieder nach Norden zu fahren um in Nürnberg meine Tour zu beschließen. Dieser Größenvergleich hat was, denke ich stolz.

Ich beschaue mir die Karte von Japan, sehe meinen Track und bin zufrieden: Immerhin habe ich die komplette südliche Hälfte des Landes geschafft, war auf drei von vier Hauptinseln und habe bis auf zwei Etappen ziemlich genau die Strecke geschafft, die ich daheim in Deutschland geplant hatte.

Okay, vieles von dem, das ich vorhatte, konnte ich nicht umsetzen: Vom mächtigen Fuji-san habe ich nur eine Flanke im Nebel gesehen, die berühmten Schreine von Ise musste ich links liegen lassen, Beppus Onsen-Bäder kenne ich immer noch nur aus dem Reiseführer und auch an einer Teezeremonie habe ich nicht teilgenommen.

Aber dafür habe ich eine Menge Menschen abseits der Touristenpfade treffen können, habe einen fast schon intimen Einblick in das tägliche, öffentliche Leben der Japan gewinnen können, hatte unmittelbaren, nicht gestellten, Kontakt zu den Leuten und vor allem - ich habe mir dieses Land selbst erobert. Mit meiner eigenen Beine Kraft. Nicht im klimatisierten Reisebus. Nicht mit Hilfe von heimischen Übersetzern.

Nein, das hier ist mein Werk.
Ich allein habe das geschafft.
Allein.

Allein, das stimmt. Einsam war es. Sehr einsam.
"Ohayu gozaimas!", grüßt mich da von der Seite der Herr von der Rezeption, er winkt, lächelt breit und verbeugt sich. Ah, siehste, denke ich, freue mich und verbeuge mich auch: "Ohayu gozaimas, mein Freund, guten Morgen!", sage ich und fühle mich für einen Moment dann doch nicht mehr so einsam.

Vom Erfolg zum Schrecken

Ich trete vor die Tür. Es ist ein wunderbarer Tag - warm ist es, keine Wolke am Himmel, der blau strahlt, blauer geht es nicht. Tollstes Radfahrerwetter, denke ich instinktiv, aber ich rufe mich zur Vernunft: Es hat keinen Zweck, sich jetzt über nicht gefahrene Kilometer Gedanken zu machen.

Hier und jetzt. Bin ich. In Hiroshima. Und nicht weit von mir lockt das erste Ziel. Ich gebe zu, ich will es so früh wie möglich hinter mich bringen. Das Atombombenmusem. Nicht, weil es Standard wäre, weil ich es muss oder weil es meine Pflicht wäre, nein, weil ich weiß, was auf mich zukommt: Tod, Zerstörung in bis dato nicht gekanntem Ausmaß.

Der Friedenspark ist keine 800 Meter von meinem Hotel entfernt. Die gesamte Nordspitze der Insel hat man unbebaut gelassen: Der Friedenspark umfasst einen weitläufigen Park, die ewige Flamme, das Archiv des Todes, in das jedes Jahr in einer großen Zeremonie die Namen der neuen Opfer eingetragen werden und das große, teilweise unterirdische Museum, das ich als erstes besuchen will.

Ich betrete das Museum, der Eintritt sind keine 5 Euro. Und ich weiß nicht, was genau ich erwartet habe, aber ich bin angenehm überrascht: Nicht "Wir armen, armen Opfer" sondern zunächst eine ausgewogene, ungewöhnlich erhliche und schonungslose Herleitung des gesamten geschichtlichen Kontexts begrüßt den Besucher. Wie kam es zum Krieg? Welche Aggressionen sind der Atombombe voraus gegangen? Objektiv wird auch die Schuldfrage Japans dargelegt, den Angriffskrieg gegen China, den Überfall auf die asiatischen Nachbarn und die Greueltaten, die man während des Krieges an alliierten Kriegsgefangenen begangen hat.

"Wir Opfer" - es kommt noch. Aber vorher wird unerwartet offen die Rolle Japans als kriegstreibende Macht, die einen brutalen Expansionskrieg gestartet hat, erklärt.

Und dann bricht die Hölle los: Ich wandle durch nachgestellte, riesige Dioramen, die die Stadt unmittelbar nach dem Abwurf von "Little Boy" darstellen, schaue auf Stadtmodelle vor und nach dem Abwurf, stehe fassungslos vor der Treppe, in die der Schatten eines sitzenden Menschens eingebrannt ist, verdampft, verglüht in einem Augenblick Höllenhitze, ich sehe Artefakte, geschmolzene Gläser, gebogene Stahlträger, Steinwände übersäät mit Einschlägen geborstener Fensterscheiben und kann es nicht fassen, als ich Fingernägel, abgerissene, Blut getränkte Kleidungsstücke von Kindern sehe, Schuhe, in denen verkohlte Stümpfe steckten und Haare, letzte Überbleibsel einer Stadt, die am Morgen vernichtet worden war.

Es berührt mich auf eine ganz sonderbare Weise - hier am anderen Ende der Welt. Und doch, diese unheilvolle Allianz meiner Heimat mit diesem Land, sie mochte das ihre beigetragen haben zu diesem Albtraum.

Nach etwa 2 Stunden in diesem Wirrwar aus Gefühlen, Trauer und Tränen, aus beklemmenden und abschreckenden, schrecklichen Bildern steige ich zurück an die Öberfläche, komme aus dem Museum, geläutert, gerädert.

Der Schein der warmen Sonne über mir. Ein Schock. Wie festgefroren steht sie da, eine atomare Explosion auch sie. Und ich, hier, mitten in Ground Zero - keine 300 Meter über mir ist sie damals explodiert, und ich, wäre ich Japaner vor Jahrzehnten gewesen, hätte ich hier gestanden, ich hätte den Blitz von Little Boy nicht einmal bewusst wahrgenommen. Ich wäre tot.

Zwei, drei, vier kleine Schulkinder in viel zu großen Uniformen kommen auf mich zugerannt. Sie halten mich an, "Sorry, Mister, sorry.", rufen sie.

"Okay?", ich warte.
"Harro, Sir.", beginnt ein besonders süßes Mädchen, "My Name Noriko. Can I ask Question? Where are ru from?", fragt sie und zückt einen Stift, hält eine Checkliste vor ihre großen Augen und macht sich schreibbereit. Die anderen tun es ihr nach. Sie hängen an meinen Lippen.
"I am from Germany.", sage ich in betont reinem Englisch und schiebe ein "Watashi wa Doitsu-jin des." nach. Da freue sie sich.
"Whats your Name?", fragen sie.
"Lars.", sage ich: "L-A-R-S."

Sie schreiben mit, und reichen mir, eine nach der anderen, die Checklisten, ich soll unterschreiben. Hinter ihnen kommt die Lehrerin, grinst mich an und beobachtet ihre Schützlinge. Ich unterschreibe und frage dabei in die Runde: "And how old are you?" Ich wiederhole es noch einmal, langsamer.
Die erste sagt "Nine."
"Eight." "Nine." "Seven - she is seven."
"Oh, okay.", sage ich, gehe in die Knie und reiche der kleinsten Dame ihren Block zurück: "So, you learn Englisch in School - this is very important! Keep on speaking English!", ermuntere ich sie und denke dabei an meine schweren Geburten, mit den Japanern zu kommunizieren.
"Yes, Sir!", sagen sie, bedanken und verbeugen sich - als eine der Mädchen schon den nächsten Gaijin ausgespäht hat.

Bevor sie losrennen schenken sie mir kleine, gefaltete Kraniche aus Papier und wünschen mir alles Gute. Da rennen sie und ich stehe neben der sichtlich stolzen Lehrerin und halte die bunten Papierkraniche in der Hand.

Was mich berührt, denn war es doch die Geschichte des kleinen Mädchen Sadako, das an Krebs durch die Atombombe erkrankte und einer alten japanischen Legende zufolge 1.000 Kraniche falten wollte, denn diese besagt, dass man dann gesund würde.

Sie schafft mit letzter Anstrengung 990 Papiervögel, als sie stirbt.

Und hier, hier stehe ich, T-Shirt, Touri-Klamotten und bekomme von diesen kleinen Japanern Kraniche geschenkt.

Ich starre auf den Atombombendom nicht weit von mir.
Und es läuft mir mit Eiseskälte den Rücken hinab.
Ich brauche dringendst einen Kaffee.

Ablenkung durch Shopping

Etwas schwermütig flaniere ich breite Boulevards entlang. In den Randstein sind alle 10 Meter dicke Messingbänder mit Gravure eingelassen. Irgendwann komme ich am englischsprachigen Band vorbei: "Let there be Peace - No more Wars!"
Ja, das kann ich nur unterschreiben.

Einige Kreuzungen später komme ich am "Peace-Walk" vorbei, einer ebenfalls sehr breiten Straße, die ebenfalls mit allerlei Friedensbotschaften garniert ist.

Nicht weit davon finde ich noch den "Peace Square" mit dem "Peace Café" und dann eine "Peace Street" und einige "World Peace Resaturants". Leute. Euren Enthusiasmus in allen Ehren, aber ich glaube, wir haben die Botschaft verstanden ...

Es herrscht wunderbares Wetter in Hiroshima. Der Super-Taifun scheint noch so weit entfernt zu sein, wie die Atombombo und die totale Zerstörung entfernt ist: Wunden sehe ich keine mehr. Statt dessen eine unglaublich weitläufige, grüne und immer wieder von Kanälen durchzogene Stadt, der man - wenn man den Peace-Overkill an allen Straßenecken mal beiseite lässt - nicht mehr ansieht, was hier passiert ist.

Die Menschen sind jung, oer kommt mir das nur so vor?
Ich genieße meinen Spaziergang, den ich aber nutzen muss, um einiges für meine vorzeitige Abreise klar zu machen.

Als erstes will ich mein Shinkansen-Ticket umbuchen. Bei dieser Gelegenheit könnte ich auch heraus finden, wie ich morgen am schnellsten zum Bahnhof komme. Etwa 20 Minuten brauche ich, als ich am Shinkansen-Plaza, einem abgetrennten, völlig autarken Teil des Bahnhofes der nur für den Hochgeschwindigkeitsverkehr zugelassen ist, ankomme.
Das Umbuchen des Tickets dauert keine 2 Minuten.
Und kostet keinen einzigen Yen.

Als ich den Herren staunend anschaue versichert er mir, dass ein mal umbuchen kostenlos sei bei der Japan Railways. Wow, denke ich da an unsere Deutsche Bahn - die hätten mich jetzt schon nackig gemacht!

Ein Hoch auf die JR!

Erstes Ziel erreicht. Ich setze meinen Spaziergang fort und komme an einer Szene vorbei, die Japan at it´s best zeigt: Ein Stadtangestellter steht mit einem Rasentrimmer auf dem Mittelstreifen einer 4-spurigen Straße und mäht Rasen. Neben ihm stehen drei weitere Angestellte, jeder hält ein Fangnetz aus Gaze um den Trimmer herum, sodass keine Steinchen oder Klümpchen den Verkehr treffen. Wiederum zwei andere versetzen immer wieder 2 Absperrkegel, damit die Autofahrer Bescheid wissen. Abgesichert wird das alles durch einen Polizeibeamten, der allerdings nicht den gefährlichen Autoverkehr im Blick hat, sondern die Akuratesse des Mähenden beurteilt.

So muss das sein.

Ich komme im Norden der Stadt am Schloss vorbei. Umgeben von einem breiten Wassergraben grüßen mächtige Mauern, laden weite Dachfirste aus und zeugen davon, dass die Historie dieser Stadt keineswegs erst mit der Atombombe beginnt, sondern eine reiche Kultur Jahrhunderte zurück reicht in eine Zeit, als das Schwert - Kana - noch die Waffe war und mächtige Shogune, Banden von Ninjas und ein Kaiser im fernen Edo das Land regierten.

Beeindruckend finde ich die Tannennadeln, die hier auf eine Überlänge von 25 cm kommen - wie mag es dann wohl um Weihnachten herum aussehen? Denn wenn der Weihnachtsbaum anfängt zu nadeln, will ich nicht dabei sein ...

Hiroshima ist eine unglaublich saubere Stadt. Das fällt mir auf: Nirgendwo liegen Kippen (das Rauchen ist eh in der gesamten Innenstadt verboten), es liegt nirgendwo Abfall herum und - das komische an der Sache ist - ich finde keine Mülleimer. Ich schaue, ich gucke, ich suche, ich frage - ich finde keine Abfalleimer! Das hatte ich schon einmal, dieses Problem, aber hier in Hiroshima ist es besonders krass.
Also laufe ich mit meinem leeren Starbucks-Macchiato einige hundert Meter, bevor ich ihn endlich loswerden kann. Witzig, denke ich, dass es hier trotzdem so sauber ist.

In einem Shoppingtempel der Superlative kaufe ich noch einige Geschenke für die Lieben daheim, finde auch mal wieder Postkarten, was ich natürlich gleich nutzen muss, und kaufe dreihundert Meter Klebeband, denn morgen werde ich in Tokyo mein Liegerad wieder flugfertig verpacken müssen.

Zufrieden, beladen und mit schmerzenden Füßen komme ich am Hotel an - nun muss ich nur noch den Flug umgebucht bekommen und alles ist fein.

Abschied, die Erste

Wieder im Hotel angekommen, setze ich mich erst einmal in die Lobby - wo sie sehr überraschend für Japan - zwei öffentliche Rechner mit Internetzugang hingestellt haben, und suche mir die Nummer von JAL - Japan Airlines heraus. Es ist Zeit, umzubuchen.

Da mich der Tag so geschafft hat, gönne ich mir einen Aloe Vera-Erfrischungs-Joghurt-Wabbel-Schwabbel-Pudding, wie er hier vor allem bei den Jugendlichen so beliebt zu sein scheint. Dabei handelt es sich um Joghurt, der mit etwa einem mal einen Zentimeter großen Geleestückchen aus Aloe Vera aufgepeppt wurde. Man kann es löffeln oder - wie sie es hier auf den Straßen tun - alles einfach genuss- und geräuschvoll durch einen Strohhalm saugen.

Als ich fertig bin mit Saugen, habe ich die Tickethotline von JAL am Telefon: "Hello Sir, what can I do for you?"
"Konnichi-wa. I need to re-book my flight to an earlier date - I have to leave Japan tomorrow."
Sie schaut nach, will meine Ticketnummer wissen, tippt, sucht, ah, da findet sie mich: "I am Sorry, Sir, but your Ticket cannot be re-booked."
"Pardon?"
"It cannot be re-booked. It´s a special Ticket."
Mich tritt ein Pferd.
"So, what can I do now?"
"You can book a new flight."
Ah, klar. Nur mal so zum Spaß: "What will be a one-way from Tokyo-Narita to Frankfurt cost?"
"We don´t sell One-way Tickets."
Mmh. Nicht? Nee, machen sie nicht. Also, was kostet dann ein komplett neues Ticket? Okay, ich kenne den Preis - in Deutschland habe ich 1.200 Euro bezahlt. Aber ich frage trotzdem. Die Antwort haut mich um: "Threethousand Euros, Sir."
Äh. Okay. Ich überlege mir das noch einmal.

Moment, moment, denke ich. Wieso kann ich nicht umbuchen? Wieso kann ich kein One-way kaufen? Wieso kostet ein Ticket in umgedrehter Richtung mehr als das doppelte vom deutschen Preis? Irgendwas kann doch hier nicht stimmen.

Wieder runter in die Lobby - ich sehe schon den Taifun über mich hereinbrechen, sehe mich in Hiroshima noch 5 Tage bis zum 10. Oktober sitzen, sehe mich Pleite gehen - ich meine, noch 5 Tage hier im Hotel kostet ja auch immerhin 250 Euro mehr?!
Ich schreibe eine E-Mail zu meinem JAL-Kontakt in Deutschland (ein Tipp an alle Reisenden: Habt immer einen deutschen Kontakt parat!).

Eine Stunde später hat sie mich umgebucht. Es kostet 100 Euro.

Zufrieden kann ich mein Abendbrot einnehmen. Das Bier (ich trinke zur Feier des Tages zwei Büchsen) schmeckt gleich doppelt so gut und ich kann es kaum fassen, dass es morgen heim geht: Morgen nur noch, dann ein Flug um die halbe Welt und dann bin ich wieder daheim!

Mir platzt bald der Bauch, so sehr freue ich mich auf daheim: Endlich wieder Gesichter, die ich lesen kann, endlich wieder Leute, die ich verstehen kann, endlich wieder eine Sprache sprechen, die man verstehen wird, eine Sprache, in der ich mich unterhalten kann, in der man richtig kommunizieren kann! Unglaublich, ich habe fast schon verlernt wie es ist, sich mit Menschen zu unterhalten.

Ich packe meine Klamotten und die unvermeidlichen Müllsäcke - unglaublich, was die japanische Gesellschaft - Frischefanatiker - an Plastikmüll produziert. Es gibt keine Tiefkühltruhen hier, so etwas wie TK kennen die nicht. In Japan muss immer alles frisch sein - und appetitlich angerichtet. Also ist Plastik das Verpackungsmittel der Wahl.

Jedes mal, wenn ich also ein Hotelzimmer verlasse, stehen da mindestens zwei Mülltüten mit Abfall. Ich weiß nicht, wie viel Müll um Himmels willen ich allein in den zweieinhalb Wochen hier produziert habe ...

Der Plan: Fahrrad im Shinkansen

Ats und Maki haben es mir in Tokyo eindringlich erklärt: In Japan sind Fahrräder in Zügen, noch dazu im Flaggschiff Shinkansen, nur erlaubt, wenn sie "Rinko" sind. Rinko, das bedeutet: Voll eingepackt, Räder demontiert und nehmen den Reisenden keinen Platz weg.

Für mein Liegerad absurd: Denn selbst wenn ich die Räder demontiere, was ich wegen der Scheibenbremsen und dem Geraffel mit der Rohloff nicht tun würde, ändert sich nichts an der Größe des Rades - denn die übermäßige Länge bleibt durch den Ausleger bestehen.

Makis Lösung: In jedem ersten Waggon gibt es hinter der ersten Sitzreihe eine etwa 50 cm breite Nische. Diese solle ich nutzen - mein Ticket haben die Jungs dementsprechend in Tokyo schon so gebucht.

Eine Skizze beschreibt mir, was ich zu tun habe: Verpacken, aufrecht stellen. Alles fein.

Na, denke ich mir, ob das so gut geht? Ein echtes Rinko-Bag besitze ich auch nicht, nur meine Silberplane, die das Rad zwar umfassend vor Regen schützt, aber nicht komplett geschlossen verpackt, wie es eigentlich der Wortlaut definiert.

Ein Restrisiko bleibt. Und ein komisches Gefühl im Magen.

Und was tun, wenn sie mir ähnlich bestimmt und rigoros die Mitnahme verweigern? 300 Euro Ticket sind verloren. Abgesehen davon, dass mein Zeitfenster morgen in Tokyo extrem dicht ist.

Na, denke ich mir, es wird schon alles glatt laufen: Ich habe mein charmantes Lächeln, meinen deutschen Presseausweis und zur Not lege ich mir die Geheimwaffe bereit: Einen Aufkleber vom ZDF. Und mal ehrlich, einen "Participant at the Tour of Japan - by ZDF German Television", den kann man doch nicht einfach aus dem Zug werfen?!

Meine Fahrt wird mich durch halb Honshu führen - Kobe und Osaka sind nur zwei Städte, durch die der Shinkansen schießen wird. 14 Uhr geht es los. 18 Uhr wird er ankommen.

Wow.

Und da die Tage hier im Hotel Dormy Inn Hiroshima anscheinend eine Stunde länger dauern, gönne ich mir mein zweites Asahi-Bier bei einer Runde Sumo-Ringen, bevor ich einschlummere.